Präventivkrieg Barbarossa

Fragen – Fakten – Antworten

Warum gab es den deutschen Angriff auf die UdSSR? Warum gab es ihn 1941? Lebensraumeroberung? Während Deutschland gerade im Krieg mit der ganzen westlichen Welt stand? Oder Abwehr eines geplanten russischen Angriffs auf Europa?

Zu diesem Buch:

Im folgenden werde ich erläutern, warum ich die Ansicht vertrete, der deutsche Angriff auf die Sowjetunion, also das „Unternehmen Barbarossa“, sei am 22. Juni 1941 einem drohenden und als drohend erkannten sowjetischen Angriff zuvorgekommen, sei also ein bewußt geführter Erstschlag gewesen, ein sogenannter Präventivkrieg. Über diese Frage wird natürlich seit langem diskutiert, eigentlich bereits seit der umfangreichen und als Verteidigungsschrift abgefassten Proklamation, mit der Deutschlands Staatschef den Angriff noch am gleichen Tag in diesem Sinn begründete. Die deutschen Kriegsgegner führten diese Debatte weiter und stellten später durch den von ihnen für solche Zwecke eingerichteten Nürnberger Gerichtshof fest, es sei unmöglich, diese Begründung für den deutschen Angriff zu glauben. Statt dessen sei das Unternehmen Barbarossa ein unprovozierter Überfall auf ein unvorbereitetes Land gewesen. Um diese beiden, extrem weit auseinanderliegenden Deutungen kreist seitdem die Auseinandersetzung.

Im Spannungsverhältnis zwischen politischen Interessen und historischer Wahrheit stehen die Einschätzungen des Unternehmens Barbarossa auch weiterhin. Es ist ungebrochen ein Politikum, wie der ganze Zweite Weltkrieg überhaupt. Wer sich als Geschichtswissenschaftler die hier im folgenden vertretene These zu eigen macht, wonach es sich um einen Präventivkrieg gehandelt habe, der läuft Gefahr, Teil einer Politisierung zu werden, die beispielsweise auch von den bundesrepublikanischen Bundes- und Landesämtern für politische Bildung ausgeht. So handelt die Bundeszentrale für politische Bildung die Stichworte Barbarossa und Präventivkrieg unter der Rubrik „rechtsextreme Vorurteile“ ab, verbunden mit der Nennung eines einzigen Autors und der wahrheitswidrigen Behauptung, diese Deutung sei erst nach 1945 unter dem Eindruck der Niederlage zum Zweck der Rechtfertigung entstanden.

Mit der Erwähnung des vermeintlichen „Zwecks“ ist auch der Grund angesprochen, warum „Präventivkrieg“ generell als Reizwort wirkt, denn der Begriff dient immer zur Rechtfertigung einer militärischen Angriffshandlung, also zur Rechtfertigung einer der schwerwiegendsten politischen Entscheidungen überhaupt. Dies könnte zur weiterführenden Ansicht – oder Unterstellung – führen, die Berufung auf eine Präventivkriegssituation als Rechtfertigung des militärischen Angriffs würde die Rechtfertigung sämtlicher im Rahmen dieses Angriffs begangener Taten mit einschließen. Dies ist zwar offenkundig unrichtig, da jedweder wie auch immer begründete Krieg den allgemeinen völkerrechtlichen Bestimmungen unterliegt und daher beide Kriegsparteien auch des (Kriegs)Verbrechens fähig sind, ob als augenscheinlich Angegriffener oder als augenscheinlicher Verteidiger.

Zudem besteht zwischen der Erkenntnis über umfangreiche Kriegsverbrechen und einem präventiven Anlaß für den Krieg, in dem diese Kriegsverbrechen begangen wurden, keine einfache oder gar zwingende Verbindung. In welchem Umfang ein Krieg von Taten begleitet ist, die als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzustufen sind, hängt von vielen Umständen, Erfahrungen und Dispositionen der Kriegsparteien ab. Auch kann kein Hinweis auf Verbrechen, die während des sowjetisch-nationalsozialistischen Krieges begangen wurden, eine Erklärung dafür liefern, warum und unter welchen Bedrohungsszenarien dieser Krieg im Jahr 1941 begonnen wurde und nicht früher oder später. Dennoch lassen die Auseinandersetzungen um den sowjetisch-deutschen Krieg der Jahre 1941-1945 eine große Neigung erkennen, in allgemeine Rechtfertigungs- oder Verdammungsdebatten abzugleiten.

Dessen ungeachtet – oder nicht zuletzt deshalb – wird hier im folgenden der Versuch gemacht, in komprimierter Form die zentralen Fragen zu beantworten, die zur Einstufung des deutschen Angriffs auf die UdSSR beantwortet werden müssen. Ein Meinungsaustausch, wie es ihn auch unter Historikern schon oft gegeben hat, soll dabei aber bewußt nicht wiederholt, sondern durch einen ganz anderen Ansatz ergänzt werden, der von den Meinungen zu den Fakten führt. Um sinnvollerweise von einem Präventivkrieg sprechen zu können, müssen stets bestimmte, prüfbare Bedingungen gegeben sein. Diese Bedingungen lassen sich aus der langen Vorgeschichte der „Präventivkriege“ und den Debatten über den Begriff selbst konsensfähig formulieren und sich danach auf den Fall des Jahres 1941 anwenden. Dies wird im folgenden geschehen.

Um ein Präventivschlag gewesen zu sein, müssen im Fall Barbarossa wie bei jedem anderen als solchem beanspruchten Präventivkrieg im wesentlichen vier Elemente vorgelegen haben:

  1. Langfristige Angriffsplanungen des Angegriffenen, in diesem Fall der UdSSR, in diesem Fall in Richtung Deutschland.
  2. Kenntnis solcher langfristigen Angriffsplanungen durch den späteren Angreifer, in diesem Fall das Deutsche Reich.
  3. Militärische Vorbereitungen des Angegriffenen, in diesem Fall der UdSSR, die auf einen in Kürze bevorstehenden Angriff durch ihn selbst schließen lassen.
  4. Kenntnis dieser militärischen Vorbereitungen durch den Angreifer, in diesem Fall das Deutsche Reich

Die Präventivkriegsfrage wird dabei im folgenden als bilaterale Angelegenheit zwischen dem Deutschen Reich und der UdSSR abgehandelt, wobei gezeigt werden soll, inwiefern die oben genannten vier Bedingungen erfüllt waren.