Die deutsche Diktatur, ihre politischen Gegner und wie es darüber zum Krieg kam.
„Hitler mag bereits den Eindruck haben, daß Britannien den Krieg gegen Deutschland um jeden Preis will. Wenn er ihn noch nicht hat, wird nicht mehr viel fehlen.“
Nevile Henderson – britischer Botschafter in Berlin (Henderson an Halifax, 18. Juli 1939, zit. n. DBFP, Third Series, Bd. VI, Dok. 347, S. 385.)
Aus dem Buch:
„Nachdem der heiße Krieg 1939 schließlich begonnen hatte, erhob der englische Regierungschef Neville Chamberlain angeblich schwere Vorwürfe: „Amerika und die Weltjuden haben England in den Krieg gezwungen“, so soll seine Anklage gelautet haben.[1] Er richtete sie an Joseph Kennedy, der 1939 in London als Botschafter der Vereinigten Staaten amtierte. Kennedy selbst widersprach dieser Feststellung offenbar nur teilweise, wie später deutlich wurde, als er Chamberlains Äußerung Ende 1945 bei einer Partie Golf an James Forrestal weitergab, den amerikanischen Marineminister jener Tage. Für Kennedy stellte sich dabei der Ablauf des Jahres 1939 als ein Ergebnis der von Präsident Roosevelt forcierten Politik dar, die ihm durch seinen engen Mitarbeiter William Bullitt nahegelegt worden sei.[2] Insofern hatte Kennedy als diplomatischer Vertreter in London vor dem Krieg nach seiner Darstellung nur eine Politik vertreten, die nicht er zu verantworten hatte. Allerdings, so korrigierte Kennedy die Ansichten des englischen Premiers, wäre Bullitt gegenüber Roosevelt gerade nicht mit der Absicht aufgetreten, einen Krieg zu erzwingen:
„Hitler hätte Rußland ohne einen späteren Konflikt mit England bekämpft, hätte es nicht Bullitts Drängen bei Roosevelt gegeben, daß die Deutschen mittels Polen in die Knie gezwungen werden müßten; weder die Franzosen noch die Briten hätten Polen zum Kriegsgrund gemacht, wären nicht die konstanten Nadelstiche aus Washington gewesen. Bullitt erzählte Roosevelt ständig, die Deutschen würden nicht kämpfen. Kennedy entgegnete, sie würden sehr wohl, und sie würden Europa überrennen. Chamberlain habe erklärt, Amerika und die Weltjuden hätten England in den Krieg gezwungen. In seinen Telefongesprächen mit Roosevelt im Sommer 1939 trug ihm (Kennedy) der Präsident stets auf, möglichst viel Eisen in Chamberlains Rücken zu plazieren.“ [3]
Man könnte an einen Fall von eigener Rechtfertigung denken, denn schließlich wälzte Kennedy mit dieser Darstellung 1945 zugleich die Verantwortung von sich selbst ab. Es war ja demnach 1939 gegen seinen ausdrücklichen Rat gehandelt worden. Zudem trat Kennedy selbst bereits während des Krieges öffentlich mit ganz ähnlich klingenden Behauptungen auf den Plan, als 1940/41 der mögliche amerikanische Kriegseintritt zur politischen Diskussion stand. James Forrestal mußte jedoch nicht erst durch Joseph Kennedy von der Richtigkeit von Chamberlains Äußerungen überzeugt werden, jedenfalls so weit sie die Anweisungen des amerikanischen Präsidenten betrafen:
„Was Kennedy mir bei dieser Unterhaltung erzählte, stimmte im großen und ganzen mit den Bemerkungen überein, die Clarence Dillon mir gegenüber bereits gemacht hatte, mit dem allgemeinen Hintergrund, daß Roosevelt ihm den Auftrag gegeben hatte, den Briten irgendwie auf privatem Weg beizubringen, daß Chamberlain bei den Verhandlungen mit Deutschland fester auftreten sollte. Dillon sagte mir, er habe auf Roosevelts Anordnung in dem gleichen Sinn mit Lord Lothian gesprochen, wie Kennedy mit Chamberlain sprechen sollte.“ [4] Während auf amerikanischen Golfplätzen in dieser Weise wohlfeil über den Sommer 1939 und die Kriegsverantwortung diskutiert wurde, mühte sich gerade die Anklagebehörde in Nürnberg damit ab, den überlebenden deutschen Angeklagten eine Alleinverantwortung am Krieg von 1939 zu unterstellen.“
[1] Vgl. Forrestal, Diaries, S. 121 f.
[2] William C. Bullitt früherer amerikanischer Botschafter in Moskau, danach gelegentlich Sonderbeauftragter Roosevelts in den heiklen diplomatischen Angelegenheiten Europas und 1939 der oberste Diplomat der USA in Paris.
[3] Zit. n. Forrestal, Diaries, S. 121 f. Aufzeichnung Forrestals über ein Gespräch mit Kennedy beim Golf am 27. Dezember 1945.
[4] Zit. n. Forrestal, Diaries, S. 121 f. Aufzeichnung Forrestals über ein Gespräch mit Kennedy beim Golf am 27. Dezember 1945.