„Der deutsche Donner ist freilich auch ein Deutscher und ist nicht sehr gelenkig und kommt etwas langsam herangerollt; aber kommen wird er, und wenn Ihr es einst krachen hört, wie es noch niemals in der Weltgeschichte gekracht hat, so wisst, der deutsche Donner hat endlich sein Ziel erreicht.“ Heinrich Heine – 1834
Vorbemerkung
Begriffliche Anspielungen sind manchmal gefährlich. Sie können zu viel vorwegnehmen und den Denkweg zu sehr vereinfachen, zumal wenn sie am Beginn einer historischen Abhandlung stehen. Läßt sich also – wie im hier vorliegenden Fall – zu Symbolzwecken auf Heinrich Heines ironische Prophezeiung vom kommenden „deutschen Donner“ aus dem Jahr 1834 zurückgreifen, ohne in die deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts ein Element von Zwangsläufigkeit und Vorherbestimmung zu bringen, das sie nicht verdient? Schließlich ist diese Floskel in diesem Sinn häufig von den Propagandisten eines negativen deutschen „Sonderwegs“ verwendet worden, der angeblich von Luther über Friedrich den Großen und Bismarck direkt zu Hitler geführt hätte und den Deutschland erst mit der als Befreiung gedeuteten Niederlage von 1945 durch einen europäisch-westlichen Normalweg eingetauscht habe. Diese Deutung spart seither viele Fragen aus und hat ein Geschichtsbild mit jenen einfältigen Zügen ausgebildet, die aktuell als politische Bildung durch die Lande geistern.
Das muß allerdings nicht so bleiben. Im Folgenden sollen solche Fragen in ansehnlicher Zahl nicht nur gestellt, sondern auch beantwortet werden. Heinrich Heine und seine immer noch anregenden Anmerkungen „Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“ stehen dem nicht im Weg, ganz im Gegenteil. Natürlich ist die neuere deutsche Geschichte seit 1796 die Erzählung eines eigentümlichen Weges – wie die Geschichte jedes Landes. Während dieser Weg allerdings beschritten wurde, erlebte die Welt ihre Industrialisierung, wurde im Zeitalter des Imperialismus fast komplett unter „Großmächten“ aufgeteilt und schließlich in der Ära der Weltkriege in jene staatliche Form gebracht, in der sie heute immer noch existiert.
In gewisser Weise stand Deutschland stets im Mittelpunkt dieser Entwicklungen. Sie beginnen in der Mitte Europas mit der Zerschlagung der hergebrachten staatlichen deutschen Ordnung, dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation. Sie drehen sich in Europa eineinhalb Jahrhunderte nicht zuletzt um die deutschen Versuche, dieses Reich in moderner Form wieder her zu stellen und um die politischen Anstrengungen der europäischen und außereuropäischen Staatenwelt, eben dies zu verhindern.
Zuletzt „donnerte“ es im übertragenen Sinn tatsächlich. In einem Krieg, in dem die Gegner keine Verhandlungen zuließen, wurde die gesamte Substanz der Nation für dieses Ziel mobilisiert und zu einem Großteil aufgebraucht. Und so enden diese eineinhalb Jahrhunderte 1945/46 mit der erneuten Zerschlagung des Reichs auf eine Art und Weise, die es nicht nur als Staat, sondern selbst als Begriff von der politischen Landkarte strich. Diese Abhandlung endet deshalb mit dem Jahr 1946, an dessen Anfang die Symbolhandlung der US-Besatzungsmacht stand, die Reichskleinodien per Panzerkolonne aus jenem Gebiet zu entfernen, das politisch wie begrifflich vielleicht noch von Deutschland übrig bleiben sollte. Zwischenzeitlich fehlte übrigens nicht viel, und die Welt würde heute maßgeblich von seinen Ideen und seinem politischen Einfluß geprägt sein, statt beim Stichwort Deutschland regelmäßig das Erinnerungsbild an die Verbrechen während seines Untergangs vor sich zu haben.
Die Geschichte war also offen und der deutsche Weg mußte nicht in den Nationalsozialismus führen, wenn der Nationalsozialismus auch – wie sollte er anders – viele Elemente deutschen Selbstverständnisses aufgegriffen hat. Und zugleich ein Ergebnis politischer Feindschaft von außen gewesen ist, die Deutschland in einen zweiten dreißigjährigen Krieg gezwungen hat. Das wird hier im Weiteren zu sehen sein.
Der Autor dieser Zeilen hat in den letzten zwei Jahrzehnten eine größere Anzahl an Buchveröffentlichungen über die internationale Politik und die Weltkriegsära vorgelegt, teilweise sehr detailliert, gelegentlich essayistisch angelegt. Dies ist nun ein knapper Versuch über einhundertfünfzig Jahre Deutschland, in den unter anderem die Ergebnisse dieser Arbeiten mit einfließen. Ich wünsche anregende Lektüre!
Stefan Scheil
Neuhofen, März 2022