Die Verantwortung der späteren Sieger für den Krieg von 1914
Mitte der 1920er Jahre stand es fest: Für den Kriegsausbruch von 1914 waren vor allem Frankreich und Rußland verantwortlich. Sie hatten den Krieg jahrelang vorbereitet und setzten ihn nach einem abgesprochenen Plan in Gang. Die französisch-russische Mobilmachung löste den deutschen „Schlieffenplan“ aus, den Angriff auf Frankreich. Den kannte man in Paris vorher detailgenau und tat alles dafür, daß in den Augen der internationalen Öffentlichkeit Ursache und Wirkung vertauscht wurden. In London bevorzugte man es, diesen beiden Staaten den Vortritt zu lassen, hatte sich aber praktisch zur Kriegsteilnahme an ihrer Seite verpflichtet. Man wollte den deutschen Konkurrenten loswerden.
Aus Anlass der hundertjährigen Wiederkehr dieser Ereignisse ist „Mitten im Frieden …“ eine Zusammenfassung des Erkenntnisstands der 1920er – der später leider in Vergessenheit geriet und erst im Jahr 2014 durch Autoren wie Christopher Clark und Sean McMeekin teilweise wieder erreicht wurde.
Aus dem Buch:
„Wie bereits erwähnt, wurde in Großbritannien immer wieder auch recht frivol über den kommenden Krieg gegen Deutschland gesprochen und dieser Krieg geplant. Spuren davon finden sich in vielen Tagebüchern und Memoiren, so auch in denen von Henry White. White, zu dieser Zeit amerikanischer Botschafter in Italien, reiste im Vorfeld der Haager Friedenskonferenz nach London, um sich über die Absichten der britischen Regierung zu informieren. Dabei traf er unter anderem Arthur Balfour, den früheren Regierungschef und Initiator des „Permanent Committee of Imperial Defence“. Was Balfour unter Verteidigung verstand, erschloß sich in einem vielleicht nicht ganz ernst gemeinten, aber für damalige britische Verhältnisse nicht untypischen Dialog:
„Balfour (etwas locker): ‚Wir sind wahrscheinlich Narren, weil wir keinen Grund finden, um Deutschland den Krieg zu erklären, bevor es zu viele Schiffe baut und uns unseren Handel wegnimmt.‘
White: ‚Sie sind privat ein sehr moralischer Mann. Wie können Sie etwas so politisch unmoralisches in Erwägung ziehen, wie die Provokation eines Krieges gegen eine harmlose Nation, die ebenso gut wie Sie ein Recht auf eine Flotte hat? Wenn Sie mit dem deutschen Handel konkurrieren wollen, dann arbeiten Sie eben härter.‘
Balfour: ‚Das würde unseren Lebensstandard verringern. Vielleicht ist es einfacher für uns, einen Krieg zu führen.‘
White: ‚Ich bin schockiert, daß von allen Menschen ausgerechnet Sie solche Ansichten vertreten.‘
Balfour: (wieder etwas locker) ‚Ist das eine Frage von richtig oder falsch? Vielleicht ist es nur die Frage, wie man die Oberhand behält.‘„
Vielleicht war das für allzu viele Entscheidungsträger damals die entscheidende Frage. Zu deren Beantwortung Millionen auf dem Schlachtfeld und anderswo ihr Leben ließen.